Mehr Umwelt wagen - Healthy Places


Die Städte und ihr Umland wachsen, die Menschen verbrauchen immer mehr Ressourcen, das Klima wandelt sich. Um diese Herausforderungen zu meistern, setzen Stadtentwickler u.a. auf Wohnprojekte, die Ökologie, Ökonomie und Soziales in Einklang bringen. Zur Wertsteigerung von urbanen Quartieren gehören bspw. nachhaltige Mobilitätskonzepte und ein positiver Umgang mit den begrenzten Ressourcen. Es gilt zur Schaffung sogenannter „Healthy Places“ in der Zukunft Wohnen, Arbeiten, Freizeit und „gesundes Leben“ unter einen Hut zu bekommen.


Nachhaltig investieren in „grüne Wohnquartiere“ und die Zukunft gestalten

Viel Wind wird zurzeit um Bremens neues Großprojekt „Überseeinsel“ gemacht. Der Bremer Windparkprojektierer wpd AG hat im Gewerbe- und Wohnquartier „Überseestadt“, dem früheren Hafenrevier mit ca. 300 ha Entwicklungsflächen, das gesamte Kellogg-Gelände des früheren US-Cerealienherstellers in der Hansestadt erworben. Rund 15 Hektar, teil in direkter Weserlage, gilt es mit Leben zu füllen. Gut 750 Mio. Euro sind dafür veranschlagt.

Der Zeitpunkt scheint gut gewählt, der Wohn-Investmentmarkt hat immerhin sein zweitbestes Ergebnis der letzten 10 Jahre erreicht, wie auf der Immobilienfachmesse Expo Real von den führenden Maklerhäusern publiziert wurde. Und der Investitionshunger ist lange nicht gesättigt. Laut BBSR-Datenbank steht Bremen in der Beliebtheitsskala der deutschen Bundesländer unter ausländischen Investoren zurzeit an erster Stelle (58 %), gefolgt vom Saarland und NRW. Bei der Anzahl der Wohnungstransaktionen liegt die Wesermetropole (mit 11,4 % Anteil der Bestandsimmobilien) hinter dem unangefochtenen Spitzenreiter Berlin (21,6 % des Bestandes). Bei einem faktisch nicht vorhandenen Wohnungsleerstand sind die Angebotsmieten erneut um 4,8 % gestiegen. Das weckt Begehrlichkeiten bei Investoren.


Wohnen in früheren Industrierevieren


Klaus Meier, wpd AG

Wohnen außerhalb der Top-Metropolen ist derzeit im Fokus. Wer A sagt, muss jetzt B sagen, so das Motto. Die „Überseeinsel“ ist ein gutes Beispiel einer „neuen Lust“ auf Bremen, der Umweltgedanke und „gesundes Leben und Arbeiten“ spielt hier wie bei etlichen weiteren Projektentwicklungen im Bundesgebiet eine wichtige Rolle. Dort wo bis Ende 2017 noch Frühstücksflocken produziert wurden, soll im Laufe des kommenden Jahrzehnts ein Ort zum Leben und Arbeiten mit viel Grün sowie wenig Autoverkehr entstehen.  Investor Klaus Meier schwebt eine Lebensweise vor, die insbesondere Familien als künftige Bewohner des Quartiers ansprechen soll. Im besten Falle sei das Ergebnis ein weitgehend CO2-freies Quartier.

Dass sich der 55jährige Meier jetzt auch der Stadtentwicklung annimmt, ist neu. Der Gründer und Aufsichtsratschef der wpd AG, die auf der ganzen Welt Windparks plant, entwickelt und betreibt, gerät bei der Aufzählung der geplanten Projekte ins Schwärmen. „Wir wollen Photovoltaikanlagen auf den Dächern installieren und vier bis fünf Windkraftanlagen im Industriehafen nutzen. Damit kommen wir planmäßig auf einen Anteil von 80 bis 85 Prozent Energie aus diesen beiden erneuerbaren Quellen.“


Natürliche Ressourcen besser nutzen

Wo Immobilienentwickler mit Skepsis abwarten, schaut Meier mit der Expertise eines Windenergiemanagers nochmal mit anderen Prioritäten drauf, sagt er selbst. Man solle doch solange die Sonne scheint und der Wind weht, diese natürlichen Energiequellen nutzen. So soll in Zukunft auch die Weser laut Meier zur Wasserquelle werden, und per Wärmepumpe und großen Energiespeichern nutzbar gemacht werden bspw. für heißes und kaltes Wasser der späteren Anlieger. Hier sei man technisch bereits der Energie-Lösung mit strombasierten Wärme-/Kälteerzeugern, Umweltwärmequellen sowie Speichertechnologien sehr nahe (s. Grafik).

Ein innovatives Energie- und Mobilitätskonzept für den neuen Stadtteil „Überseeinsel“ – entwickelt aus der Feder eines Windenergie-Managers.


Nachhaltiges Quartier soll emotional aufgeladen werden

Beraten wird Meier u.a. von Jens Lütjen, Geschäftsführer des überregionalen Beratungsunternehmens Robert C. Spies, der als Vermittler des Grundstückes mit am Tisch sitzt, wenn Stadt, Investor und weitere Beteiligte unter dem Projektnamen „Überseeinsel“ beraten.

Geplant sind im ersten Schritt 1.200 Wohneinheiten, auch Arbeitsplätze für bis zu 3.000 Menschen sollen im Zuge der Neugestaltung entstehen. Insgesamt würde laut Lütjen mit 250.000 qm neu zu entwickelnder Geschossfläche über die nächsten Jahre ein großes Rad gedreht. Davon sind allein bis zu 60 Prozent für Wohnraum vorgesehen, gespeist durch Fernwärme und eben nachhaltig für eine gute CO2-Bilanz.

Die ersten Mieter haben sich bereits angesiedelt. Im Rahmen von Zwischennutzungen unter anderem die Gemüsewerft. In 450 Hochbeeten wachsen Gemüse, Kräuter, Obst und Hopfen heran. Menschen mit geistiger, psychischer oder seelischer Beeinträchtigung kümmern sich um die Pflanzen. Nächstes Jahr soll hier ein Hopfengarten eröffnen, in dem Bier aus selbst angebautem Hopfen angeboten wird.


Nur mit Bürgerbeteiligung

Meier, der hauptberuflich beim Thema Wind bleiben will, auch wenn in der Branche entgegen der Immobilienbranche der Wind dort zurzeit wesentlich rauer von vorne weht, ist, setzt als privater Investor auf Bürgerbeteiligung und auf Ideenvielfalt. Demnach gibt es eine starke Nachfrage nach Loftwohnungen, die im Bestand in der alten Kellogg-Produktionshalle umgesetzt werden. Auch das Thema Gesundheit werde aufgegriffen: Ein Gesundheitszentrum mit Microwohnungen für Auszubildende, Studenten , Singles und darüber hinaus Boardinghäuser werden laut Meier für einen bunten Mix und Wohn-Atmosphäre sorgen.


Autos müssen draußen bleiben

Wie grün wird der neu zu planende Stadtteil „Überseeinsel“ letztendlich? Glaubt man den Worten Meiers, wird ein Drittel der gesamten Überseeinsel aus Grünflächen bestehen.  Das Areal war früher schon mal ein Wohn- und Arbeitsquartier. Damals waren hier Pferde mit ihren Fuhrwerken unterwegs. Die Pferde will der weltweit agierende Unternehmer nicht zurückholen, dafür wird es aber drei Hochparkhäuser und zwei Tiefgaragen geben, in denen die Autos geparkt werden und die laut Meier vorausschauend auch als zukünftige Ladestationen für E-Mobilität fungieren. Der Weg zur eigenen Wohnung sei lediglich bis zu 150 Meter entfernt, einen E-Shuttle-Bus solle es ebenfalls geben – und auch Carsharing.

„Die Idee des gesunden Wohnens in der Tradition von ‚Licht, Luft und Sonne‘ erfährt eine Renaissance,“ hat auch die städtische Wohnungsgesellschaft Gewoba für sich formuliert. Das passt zudem in den von der Stadt Bremen initiierten Prozess „Zukunft Bremen ’35“. Der „Masterplan Green City Bremen“ beschäftigt sich so ebenfalls u.a. mit innovativer Verkehrsplanung für Carsharing & Co.


Generation Y setzt auf Work Life Balance und ein „gesundes Leben“

Die Initiative Building „Healthy Places“ des Urban Land Institute (ULI) zeigt auf, wie eng die Gestaltung unserer Lebens- und Arbeitsräume in Verbindung mit unserer Gesundheit steht. „Ein attraktiver, abwechslungsreicher Stadtraum ist Grundvoraussetzung für ein aktives öffentliches Stadtleben und gerade im Zuge der Nachverdichtung unerlässlich, um für Bewegung und Ausgleich zu sorgen“, so die frühere ULI-Sprecherin Claudia Gotz.

„Die Integration dieses Themenblocks des „gesunden Lebens“ wird die Immobilienbranche in den kommenden Jahren massiv fordern, urbane Infrastrukturen als Healthy Places aufzubauen“, sagt Thomas Beyerle, Managing Director der  Catella Property Valuation GmbH, langjähriges Mitglied des Urban Land Institute (ULI) und Professor an der Hochschule Biberach HBC. Städte müssten zur „grünen Lunge“ werden, denn die „Generation Y“ und Babyboomer wollten immer mehr Wohn- und Arbeitsumfelder, die einer gesundheitsorientierten Lebensweise entsprechen.


Chancen für langfristige Investitionen

Wie rechnen sich aber Investitionen in die Gesundheit gleichermaßen für Stadt, Investor  und Unternehmen? Laut Beyerle ist das im Rahmen der politisch gewollten „kompakten Stadt“ der Zukunft eine übergeordnete planerische Herausforderung. Anders geschrieben, wenn schon neue Wohn-Quartiere entwickelt werden, warum nicht nachhaltiger und mit spürbar verbesserter Aufenthaltsqualität. Das heißt mit mehr Gestaltungsvielfalt, mehr öffentlichen Räumen, mehr Bewegung und Mobilität in und um Gebäuden.

Im Wechselspiel von Wohnen, Arbeiten und Konsumieren auf immer kleinerem Radius denke die Immobilienwirtschaft hier aber leider häufig immer noch zu sehr in Beton und mit Blick auf Einzelobjekte, wirft Beyerle einen durchaus kritischen Blick auf seine Branche. Dabei gibt es laut Beyerle doch eine ähnlich große Chance wie beim inzwischen unumgänglichen Thema Green Buildings, etwas Neues am Markt zu platzieren!


Dorfcharakter in der Stadt

Die neuen „Healthy Places“ sind verknüpfbar mit Wasser, Licht, Luft und Lärm als positives weil lebendiges Grundrauschen, nennt Beyerle die Hafencity Hamburg, die „neue balan“ in München mit einem ganzheitlichen Ansatz in der Geländeplanung oder auch das über den Preis selektierende Luxusquartier Main Plaza mit „Frankfurt Loop“ und dem Metropolencharme à la New York als Muster. In Mainnähe gibt es das als eine Art Dorf in der Stadt mit vielfältiger Mischung aus Geschäften, medizinischen Einrichtungen, Restaurants sowie neuen Wohnimmobilien.

Achtsame Strategien für gute Orte, nennt Architekt Daniel Bormann aus Berlin das, Geschäftsführender Gesellschafter von Realace. Sein Ziel ist, durchdachte und innovative Projekte und Orte zu entwickeln und damit Werte zu schaffen. „Häufig wird das volle Potenzial von Immobilien, Orten und Unternehmen nicht ausgeschöpft“, so Bormann. Was meint er? Der Streiter für „Better Places“ spricht von Markenprägung: „Aus Autos werden Lifestyleprodukte, Telefone zu Kultgegenständen und Gebäude sollten Lebenswelten sein. Denn dann wecken sie Begeisterung, da sie ein zeitgemäßes Versprechen geben, verbunden mit einer Vision vom guten Leben.“


Nachhaltigkeit und Innovationen als Programm

Es stellt sich die Frage, wie schwierig es ist, bei der Quartiersplanung wie das der „Überseeinsel“ das Gleichgewicht zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Zielen zu wahren? Die Bremer Überseeinsel könnte hier als Benchmark Zeichen setzen. Meiers Ansatz ist keinesfalls missionarisch sondern pragmatisch. Nicht Verzicht sondern langfristiges Denken und Innovationen umsetzen sind seine Triebfedern. Natürlich werden beispielsweise Investitionskosten für das geplante Wärmekonzept in den Wohnquartieren viel höher sein, als wenn mit Gasthermen oder Fernwärme arbeiten würde. Die Mehrkosten will Meier bei relevanten Einsparungen im späteren Betrieb wieder hereinholen.


Noch überschaubare Zahl an „Leuchtturm-Projekten“

Noch ist die Zahl der deutschlandweiten „Leuchtturmprojekte“ als Healthy Places überschaubar. Dabei gehe es ganz simpel darum, statt Gebäude mehr den Menschen mit seinen Bedürfnissen und Wünschen nach vorne zu stellen, so Daniel Bormann.

Schnelleren Erfolg erwartet sich der Marketingfachmann über das Branding von Standorten im Sinne des für Unternehmen immer wichtiger werdenden Ringens um qualifizierte Arbeitskräfte. Dieser Hebel der Quartieraufwertung über „gesunde“ Arbeitsplätze, gesundes Essen mit entsprechenden Gastronomiekonzepten, Wohlfühlwohnen in der Nähe der Arbeitsstelle, autofreie Zonen bzw. Carsharing etc. sei am ehesten marktkonform und somit besser durchsetzbar.

Da in dem Quartier „Überseeinsel“ keine Autos fahren, ergeben sich ganz neue Chancen. Die Straßen müssen nicht aus Asphalt bestehen. Die Wege könnten eine Schotterdecke haben, durch die Gras oder Blumen wachsen. Das Quartier könnte also noch grüner werden, als momentan auf den Plänen zu sehen.