Im Chemnitzer Rathaus glaubt man an das Lutherviertel - wohl nicht ganz ohne Grund: In der Nähe zum Uni-Campus und zum Zentrum gelegen, holt der kleinste Stadtteil von Chemnitz seit einigen Jahren kräftig auf.
Nach der Wende sah es zunächst gar nicht gut aus: Deutlicher als in anderen Stadtteilen sank die Bevölkerungszahl um fast ein Drittel auf 4.400. Doch inzwischen hat sich die Lage etwas umgedreht: Durch das Wachstum der Technischen Universität und das nicht mithaltende Angebot an Wohnheimplätzen sind die Studenten auf den freien Wohnungsmarkt ausgewichen und finden im Lutherviertel verhältnismäßig große Wohnungen für einen geringen Preis. Allerdings ist der Sanierungsstand noch nicht überall heutigen Komfortwünschen angepasst, denn Kohleheizung ist in vielen Lutherwohnungen noch Standard.
Kaum Gebäude nach 1970
Das liegt vor allem am Alter des Gebäudebestandes, denn 45 Prozent der Wohngebäude stammen aus der Frühphase des 20. Jahrhunderts. Der zweite, noch größere Teil wurde zwischen 1948 und 1970 errichtet - DDR-Wohnkarrees, zwar mit großen Innenhöfen ausgestattet, aber ansonsten nicht gerade ein Hort von Luxus und Moderne. Die Altbausubstanz wird aber zunehmend saniert, großzügige Balkons werden an die Außenwand geschraubt, moderne Heizungen eingebaut, Laminat oder gar Parkett verlegt - es tut sich also was. Auch die Grundschule in der Rudolfstraße - einzige Bildungseinrichtung neben einem Berufsschulzentrum - erfährt eine umfassende Sanierung.
Nachteile des Viertels
Wer sich fürs Lutherviertel entscheidet, muss sich freilich auch mit den Schattenseiten arrangieren: 90 Prozent des Stadtteils sind bebaut, der höchste Grad im gesamten Stadtgebiet. Gerade einmal sechs Prozent machen Grünflächen aus. Drei Ausfallstraßen und eine Bahnlinie begrenzen das Viertel und sorgen für entsprechenden Verkehr. Und die Wahrscheinlichkeit arbeitsloser Nachbarn ist verhältnismäßig groß, denn beinahe jeder fünfte Bewohner des Stadtteils gehört zu dieser Gruppe. Das macht sich in der Struktur der Lokale bemerkbar, sofern man bei Dönerbuden und Bratwurstständen von solchen tatsächlich sprechen will. Und vor den Supermärkten und Discountern des Viertels hat man sich im Regelfall an einem Gemenge aus Menschen, Hunden und Bierflaschen vorbei zu navigieren.
Immerhin bietet das aber Sozialkontakte - mehr als man daheim bekommt, denn der durchschnittliche Haushalt im Lutherviertel ist eher klein: Mehr als 50 Prozent beherbergen gerade mal eine Person. Aber wer anderes Leben um sich herum braucht, kann ja aus dem Viertel fliehen - Buslinien gibt es jedenfalls genug.
Das Lutherviertel ist heute vor allem für junge Menschen mit begrenztem Budget anziehend. Auf seinem heutigen Stand dürfte es aber allenfalls Durchgangsstation bleiben, auch wenn man ihm aufgrund seiner Gebäudestruktur und Bebauungsdichte durchaus die Möglichkeit einräumen kann, irgendwann einmal das nächste In-Viertel der Stadt zu werden.
Volker Tzschucke
Dieser Insider-Tipp spiegelt nur die Meinung des Autors wider.