Chemnitz-Wittgensdorf versteht sich nach wie vor als Wittgensdorf bei Chemnitz. So ganz hat man sich in der Ortschaft, zu der auch noch das Fleckchen Murschnitz gehört, wohl noch nicht damit abgefunden, 1999 eingemeindet worden zu sein. Dabei ist es doch eigentlich toll: Man darf sich Großstädter nennen, obwohl man auf dem Lande wohnt.
Wittgensdorf ist von seiner Fläche her der zweitgrößte Stadtteil von Chemnitz. Ein wesentlicher Anteil von 72 Prozent wird aber land- und forstwirtschaftlich genutzt. Und das schon seit Jahrhunderten. Dies zeigt sich auch in der Gebäudestruktur im Stadtteil: 30 Prozent stammen aus der Zeit vor 1900, oft Gehöfte oder einzeln stehende Häuser mit größerem Garten. Da wohnt es sich natürlich idyllisch, genauso wie im Einfamilienhaus oder Doppelhaus-Hälfte, von denen insbesondere nach 1990 zahlreiche entstanden sind: Über 200 neue Gebäude kamen seitdem dazu und schraubten die Zahl der Wohngebäude damit auf über 1.000 und den Anteil von Wohngebäuden für eine oder zwei Parteien auf über 70 Prozent.
Raus aus der Stadt
Das klingt verdächtig nach Stadtflucht und war sicher ein Grund für die Bestrebungen Chemnitz, Wittgensdorf einzugemeinden: Welche Stadt kann schon auf gut verdienende, mobile Familienväter und -mütter verzichten? Auch wenn es diese also nach Wittgensdorf zog - nach wie vor dominieren die Alteingesessenen den Ort: Knapp 30 Prozent der Bevölkerung ist über 60, das ist zwar deutlich weniger als in der Kernstadt, aber doch mehr als in anderen Umlandgemeinden.
Der langlebige Separatismus der Wittgensdorfer hat ihnen immerhin dazu verholfen, dass ihnen ihre Eingemeindung mit ein paar Zugeständnissen versüßt wurde: Sie durften ihr eigenes Rathaus mit einem Hauch von Stadtverwaltung behalten - in der Bürgerservicestelle bekommt man nach wie vor Führerscheine und Personalausweise, kann seine Anträge auf Wohngeld abgeben und Behördenpost abgeben. Auch eine eigene Telefonvorwahl hat man behalten, eine Zweigstelle der Stadtbibliothek, ja sogar ein eigenes Schwimmbad, das auch die Bewohner der anderen nördlichen Stadtteile anzieht. Dazu gibt es eine Grund- und Mittelschule.
...und wieder zurück: Mit dem Auto
Weniger gut bedacht wurde Wittgensdorf beim Anschluss an den Personennahverkehr. Zwar gibt es gleich zwei Bahnhöfe (an der Strecke Chemnitz-Leipzig und an der Strecke Chemnitz-Rochlitz), dafür aber nur eine Buslinie der CVAG, die Wittgensdorf anfährt. Man kann eben nicht alles haben - und braucht als Wittgensdorfer ohnehin ein Auto, um das Chemnitz-Center in Röhrsdorf zu erreichen, denn so richtig einkaufen kann man in Wittgensdorf nicht.
Wittgensdorf ist als Ortschaft innerhalb der Stadt Chemnitz über zwei Bundesstraßen zu erreichen. Das ist auch nötig, denn die Anbindung an den ÖPNV ist nicht eben phantastisch. Wem das nichts ausmacht, der fühlt sich sicher in einem der alten Höfe oder im neuen Einfamilienhaus, die den Ort prägen, pudelwohl.
Volker Tzschucke
Dieser Insider-Tipp spiegelt nur die Meinung des Autors wider.